Kunst im Stadtraum
Viele Köchinnen bereichern den Brei | „Eintopf“ – interkulturelles Site-Specific Kunstfestival in Łódź, Polen
August/September 2025, https://eintopf.art/de/festival-de/
Eintopf ist bekanntlich ein Gericht, das in einem Topf zubereitet wird. Der Name des Festivals verweist auf dieses Bild und ist zugleich ein deutsches Wort, das im polnischen Dialekt von Łódź verwendet wird – ein Hinweis auf die multikulturelle Vergangenheit der Stadt. Łódź war einst eine Stadt der vier Kulturen: polnisch, jüdisch, deutsch und russisch.
Patricia Pisani
Bildende Künstlerin
Deutsche Unternehmer spielten eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Textilindustrie. Das Festival fand im ehemaligen Heizkraftwerk statt, das die Energie für eine der erfolgreichen Textilfabriken lieferte. Das im Jugendstil gestaltete Industriegebäude mit seinen raffinierten architektonischen Elementen zeugt vom einstigen Reichtum eines deutschen Textilfabrikanten. In dieser Zeit wurde Łódź als „das gelobte Land“ bezeichnet – ein Name, den der polnische Regisseur Andrzej Wajda 1975 seinem Spielfilm gab, der die Industrialisierung der Stadt in all ihrer Dramatik zeigt.
Heute ist das Areal des alten Heizkraftwerks ein gentrifizierter Ort. Łódź, einst Zentrum der Textilindustrie und als „polnisches Manchester“ bekannt, entwickelt sich zunehmend zu einer Kunst- und Kulturmetropole mit bedeutenden Wissenschaftszentren.
Das Eintopf-Site-Specific-Kunst-Festival wurde zu einem Raum für Austausch und Begegnungen – sowohl mit der Stadt selbst als auch mit einer deutschen Künstlerinnen-Gruppe, die seit über dreißig Jahren ortsbezogen arbeitet. Zwei Künstlerinnen-Kollektive nahmen teil: Frakcja aus Polen (https://www.instagram.com/frakcjagrupa) und Endmoräne aus Deutschland (https://endmoraene.de). Beide arbeiten in selbstinitiierten Projekten an ortsspezifischen Installationen und Aktionen – im urbanen wie auch im ländlichen Raum.
Im Mittelpunkt des Festivals standen die Auseinandersetzung mit dem historischen Multikulturalismus und seinen heutigen Erscheinungsformen. Ziel war es, unterschiedliche Perspektiven und Geschichten aus dem Gefüge der Stadt sichtbar zu machen, sie miteinander zu verweben und neue künstlerische Erzählungen zu schaffen, die an die Textilgeschichte Łódźs anknüpfen.
Einige Arbeiten griffen das Thema Textil direkt auf – als Material, Symbol oder Träger von Zeichen. Andere thematisierten die Vergangenheit in Form von begehbaren Glasscherben, das Sprachgewirr im multikulturellen Kontext oder die einstige Funktion des Gebäudes: Energie zu erzeugen. Drei humorvolle Installationen verliehen der düsteren Umgebung Leichtigkeit – etwa eine Post-it-Zettel-Installation auf technischen Geräten, die augenzwinkernd „nichts vergessen“ ließ, oder ein aus Textilfasern gefertigter Dampftopf, der wie ein Traumwesen auf dem riesigen Generator saß.
An den Festivalabenden präsentierten polnische und deutsche Künstlerinnen ihre Arbeiten. Besonders spannend war es, trotz unterschiedlicher Arbeitsweisen Gemeinsamkeiten zu entdecken. Beeindruckt waren wir, die deutschen Künstlerinnen, von der fabulösen Gastfreundschaft der polnischen Kolleginnen sowie von der Organisation des Festivals. Die Künstlerinnen waren: von der FRAKCJA-Gruppe Monika Czarska, Alicja Kujawska, Roksana Kularska-Król, Anka Leśniak, Aurelia Mandziuk-Zajączkowska, Beata Marcinkowska und Marta Ostajewska und von der ENDMORÄNE-Gruppe Kerstin Baudis, Ka Bomhardt, Angela Lubic, Barbara Müller, Dorothea Neumann, Patricia Pisani und Susanne Pittroff.
In einer Zeit, in der nationalistische und separatistische Bewegungen auf dem Vormarsch sind, Schwarz-Weiß-Narrative, Spaltungen, Populismus, Autoritarismus, Gewalt, Aggression und Krieg verstärkt werden und Grenzen wieder durch Mauern markiert werden, widmeten sich die polnischen Organisator*innen dem, was ihnen am wichtigsten erscheint: dem, was uns verbindet – Nähe, Beziehung, Gemeinschaft. Sie schufen ein künstlerisches polnisch-deutsches Treffen in einer Stadt, die von einer schwierigen Geschichte voller Kriege und Teilungen geprägt ist.
Eintopf ist und bleibt ein multikulturelles Community-Kunst-Festival: ein horizontaler und demokratischer Raum, der Begegnungen mit Orten und lokaler Geschichte ermöglicht und offen ist für das Unsichtbare, Marginalisierte, das am Rande des Mainstreams steht. Für 2026 planen die Organisatorinnen ein weiteres Festival, diesmal mit Künstlerinnen aus der Ukraine.
Das Projekt Eintopf – interkulturelles Site-Specific Festival wurde dank der Finanzierung aus dem Budget der Stadt Łódź realisiert.
ImDezember 2025 erscheint ein zweisprachiger Katalog des Festivals (Polnisch/Englisch).