Christin Kaiser
Werke
Schnörkel
In Grundschulen werden Tag für Tag Kleidungsstücke vergessen, verlegt, verbummelt. Solche liegen gebliebenen Jacken, Turnhosen und T-Shirts übersetze ich in dieser Arbeit in architektonische Zierelemente, die in Bronze abgegossen an den Pfeilern der Schule platziert wurden. Schnörkel greift damit alltägliche Erfahrungen und dinglich-textile Gegebenheiten einer Grundschule auf und überträgt sie mit skulpturalen Mitteln in eine humorvolle Auseinandersetzung mit Architektur.
Künftige Ruinen
Die antike Thermenanlage Caracalla in Rom bildet den Ausgangspunkt für Christin Kaisers Skulptur Center Arc. Ein Fragment der Ruine, ein Stück Mauer mit Rundbogen, hat die Künstlerin in Form einer Steppdecke ins Textile übertragen. In der Arbeit verschmelzen Überlegungen zu Modernisierungsmaßnahmen (Stichwort: Wärmedämmung) und der Architekturtheorie von Gottfried Semper, der die Hülle, also das Äußere eines Gebäudes, als dessen ‚Bekleidung‘ begriff. Die Caracalla Therme, 216 n. Chr. eröffnet, war eine der größten, die im römischen Reich erbaut wurden. In ihren gigantischen Hallen waren neben dem Badebetrieb auch Theater, Frisöre, Sportanlagen und Bibliotheken untergebracht und es fanden mehrere tausend Badegäste gleichzeitig darin Platz. Die Therme, die allen Bürger*innen kostenfrei zugänglich war, wurde so zum Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Lebens – eine prunkvoll ausstaffierte Wellness-Architektur fürs Volk.
Der Titel der Arbeit verweist zugleich auf die niederländische Ferienparkkette Center Parcs, die seit den 1950er Jahren Familienurlaub in tropischen Badeparadiesen „nicht weit von Zuhause“ verspricht.
Ein weiteres Element antiker Baukunst ist in der Arbeit Dorischer Ärmel aufgegriffen, die eine Säule dorischer Ordnung (wie man sie beispielsweise aus griechischen Tempelanlagen kennt) mit einem Ärmel verbindet. Der Ärmel, als Element von Kleidung bzw. der „zweiten Haut“ des Menschen, behält in seiner enormen Vergrößerung dennoch seine charakteristische Form bei und widersetzt sich so den strengen symmetrischen Regeln des Säulenbaus. Die Verwendung von wattiertem Stoff unterstreicht diese Umkehrgeste noch zusätzlich. Die Säule wird zum soften Schlauch und von der Architektur bleibt nur die Hülle, die, ähnlich zu einer Daunenjacke, ohne Träger*in fluffig in sich zusammenfällt.
Analog zur Gebäudehaut rückt in der Serie Baumwall die Rinde von Bäumen ins Blickfeld, die im Vordergrund der Schwarz-Weiß-Fotografien zu einer beinah ornamenthaften Struktur verunschärft ist. Dahinter, zwar fokussiert jedoch weitestgehend verdeckt, lassen sich Fragmente von Architektur erkennen. Es handelt sich zum einen um das Haus der Kunst in München und zum anderen um zwei Wohnhäuser des Architekten Hans Scharoun in Berlin-Friedrichshain. Beide Gebäude, so unterschiedlich sie auch sein mögen, wurden von Folgegenerationen als so ‚problematisch‘ eingestuft, dass man sich dafür entschied, sie durch das Pflanzen einer Baumreihe zu verstecken. Die modernistische Architektur von Scharouns Laubenganghäusern (1949-51) war mit den „16 Grundsätzen des Städtebaus“,
den sozialistischen Vorstellungen von Bauästhetik, nicht vereinbar. Im Falle vom Haus der Kunst (1933-37), als Paradebeispiel für monumentale NS-Architektur unter persönlicher Beteiligung Adolf Hitlers in München erbaut, versuchte man in den 1970er Jahren dessen Präsenz durch die Anpflanzung einer Reihe Linden vor der Hauptfassade abzumildern.
Beide Beispiele verdeutlichen die ideologische bzw. politische Dimension, die Architektur haben kann, und wie sich nachfolgende Generationen dazu positionieren. Gleichzeitig stehen sie exemplarisch für den Umgang mit architektonischem und städtebaulichem Erbe, wie er auch aktuell vielfach diskutiert wird.
Text: Katharina Wendler
Klinkerkleider
Textile Installation aus neun Skulpturen für das Foyer der Havel-Grundschule in Berlin-Spandau
Hohler Zahn
Wir brauchen Ruinen, wir brauchen Wunden, wir brauchen Fassaden, die eine gebrochene Geschichte erzählen.
Ausgehend von der Turmruine der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche – im Berliner Volksmund als „Hohler Zahn“ bekannt – und dem ergänzenden Kirchenneubau Egon Eiermanns aus den 1960er Jahren, entwickelt die 1984 in Erfurt geborene Künstlerin Christin Kaiser eine textile Skulptur, die ihre Beschäftigung mit konservativen Architektur-Rekonstruktionen weiterführt.
Gewand
Stoff, Vlies
3×10,2 m
Brunnenhaus
Entwurf für einen Brunnen für den Marktplatz in Chemnitz (Finalistenrunde)
Aus reliefartig angedeuteten Fenster- und Türöffnungen an der rötlichen Beton-Fassaden von "Brunnenhaus" treten unterschiedliche Wasserfontänen aus.
2,06 × 3,36 × 3,36m
Eine sorgenfreie Zukunft
Tapetenprint, 290 × 430 cm eines Motivs aus gleichnamiger Fotoserie
Installationsansicht Galerie Max Mayer, Düsseldorf
Geister von Potsdam
Installation in Neuwerder/Brandenburg mit textiler Skulptur und 5 Plakatdrucken, tapeziert
IX. Biennale LandschafftKunst kuratiert von Spoiler
Eckdaten
christinkaiser.com
Installation, Fotografie, Skulptur
* 1984
Christin Kaiser is a multimedia artist. Initiating often from a photograph, her sculptures expand through meticulous research into multicomponential installations, in which contents from history of architecture and design are brought together into one narrative. Drawing inspiration from the lived environment, albeit not without mimicry and a touch of humor, the artist underlines notions of inequality and social status in contemporary life. Kaiser’s artworks are compositions of carefully and wittingly selected artefacts, in which the thin line that divides originals from simulacrums and fact from fiction, is barely distinguishable.