Der Neubau des Johannes Wesling Klinikums in Minden ist auf der grünen Wiese entstanden. Neueste Medizintechnik ist nun an einem Ort, der vor kurzem noch landwirtschaftlich genutzt wurde. Natur und Technik – dieses Begriffspaar beschreibt aber nicht nur die örtliche Situation, sondern die gesamte Spannung in der sich Medizin heute befindet. Der Namensgeber des Klinikums, Johannes Wesling (1598 – 1649), steht als Wissenschaftler stellvertretend für eine
Epoche, die begann, was wir heute „empirische Methoden“ nennen würden, in die medizinische Forschung
einzuführen und er selber war einer der treibenden Kräfte dieser Zeit. Als Anatom einerseits und Pharmakologe
andererseits vereinte er in seiner Person beide Aspekte von Medizin. Der geborene Mindener wurde in der damals führenden Universität in Padua zum Begründer der vergleichenden Anatomie und führte als Pharmakologe außerdem einen Garten mit Heilpflanzen. Seitdem wurde Medizin immer technischer und immer abstrakter. Die heutigen
Behandlungsmethoden gehen bis auf die molekulare und atomare Ebene hinunter.
Der Künstler Thomas Eller greift diese Spannung mit seiner Wandarbeit für die Patientenmagistrale des Klinikums auf. Die Vorbilder für die vier Wandinseln sind Heilpflanzen die in vier Bereichen teilweise noch heute Verwendung finden. Am Anfang der Patientenmagistrale, nicht weit vom Eingang entfernt, befinden sich mit Ringelblume, Wundklee und Beinwell Pflanzen, die bei Hautreizungen oder aber auch Knochenbrüchen angewandt werden. Die zweite Wandinsel zeigt mit der Mariendistel und Schleifenblume Wirkstoffe, die sich auf die Leber und Verdauungsorgane auswirken. Die dritte Insel zeigt Herzmittel und die vierte schließlich mit Sonnenhut und Baldrian basiert auf Pflanzen, die das
Immunsystem und die Nervenbahnen beeinflussen.
Die Fotografien dieser Pflanzen wurden als Diapositive im Format 6 x 7 cm aufgenommen und danach digitalisiert. Im Computer wurden die zuerst hoch aufgelösten Bilder abstrahiert und so bearbeitet, dass sie sich in nur noch in einem extrem spitzen Winkel wahrnehmen lassen. In einem weiteren Prozess wurden die so entstandenen Bilder per
Computer in einzelne Rasterpunkte aufgelöst, die im fertigen Mosaik den einzelnen Glassteinen von 2 x 2 cm
entsprechen. Dabei entstand in einer Firma in Mexiko aus ca. 1 Million Mosaiksteinen eine 400 m2 große Wandarbeit, die von Mosaikspezialisten aus Italien vor Ort in Minden installiert wurde.
Das für die Bilder verwendete Prinzip der Verzerrung nennt man Anamorphose. Es wurde in der italienischen
Renaissance als Nebenprodukt der Zentralperspektive gefunden. Während sich die Zentralperspektive mit einer
berechenbaren, richtigen Darstellung des Bildraumes beschäftigte (die Fotokamera ist bis heute die wichtigste
Erfindung aus dieser Zeit), geht es bei der Anamorphose um den richtigen Standort um eine verzerrte Welt zu
erkennen. Wie viele andere Bereiche des menschlichen Lebens hat auch die Medizin eine immer stärkere Abstraktion erfahren. Das Interessante an Medizin ist jedoch die erschütternde Nähe von Abstraktion und Konkretion. Die abstraktesten Findungen medizinischer Forschungen,
können im Klinikalltag den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Als Wissenschaft und Praxis hat Medizin mit dem jeweiligen
Einzelnen als Mensch zu tun. Das Mosaik von Thomas Eller verleiht dieser Zuspitzung von Konkretion und Abstraktion bildnerischen Ausdruck, indem es Bilder von Heilpflanzen als anamorphes Mosaik über fast die gesamte Länge der Patientenmagistrale präsentiert. Die Besonderheit einer Anamorphose ist, dass das Bild von jedem Standort aus anders aussieht und nur an einem besonderen Punkt (der auch außerhalb des Gebäudes liegen kann) „richtig“ erscheint. Eine Anamorphose schickt den Betrachter also auf die Reise die verschiedene Perspektiven zu erkunden. Dadurch bezieht sie sich direkt auf die Position des einzelnen Menschen. Die Wahl der Heilpflanzen als Bildmotiv bezieht sich einerseits auf Johannes Wesling als Pharmakologen und verspannt so das Innen der Patientenmagistrale mit dem Arboretum im Süden der Klinik. Es ist darüber hinaus als visuelle Klammer zwischen dem Inneren des Krankenhauses und der umgebenden Natur
verständlich. Die anamorphe Projektion der Bilder und die Aufrasterung in einzelne Mosaiksteinchen am Computer sind digitale
Bildtechniken und technische Abstraktionen, die man sich analog zur Entwicklung der Medizintechnik vorstellen kann. Durch die in Verkürzung wahrgenommenen Pflanzen verändert sich der Tiefeneindruck der Architektur radikal. Die teilweise über mehrere Wandsegmente ver teilten Bildmotive lassen den Raum viel kürzer erscheinen und verklammern so die Magistrale von vorne bis hinten und lassen sie als Einheit erscheinen. Selbst die größeren Durchgänge erscheinen in der Verkürzungen nur als kleine Bildunterbrechungen. Bewegt sich der Betrachter auf der Magistrale ‘animiert’ er durch seine veränderten Betrachterstandorte, die Erscheinung der Bildelemente und erfährt ihre ‘Abstraktion’.
www.thomaseller.com/THEmosaicBOOKnet.pdf
Denkmal für Georg Elser - 2. Preis (nicht realisiert)
“Elser ist der eine wahrhaft große Mann, den die deutsche Nation im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. … Elser handelte nicht erst wie die Generalität, als sie merkte, der ‘Führer’ bringt die Rote Armee auf ihre Rittergüter.” Rolf Hochhuth
Am 8. November 1939 verübte Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler, das nur knapp scheitert. Damals schon glaubte niemand an eine Einzeltäterschaft – eine Tatsache, die dem Gedenken an Georg Elser bis heute schädlich war. Umso deutlicher muss man heute den Namen und die Tat dieses weitsichtigen Mannes, der als eigenständig Handelnder mit einem Tyrannenmord den 2. Weltkrieg verhindern wollte, bekannt machen. Der vorliegende Entwurf soll dazu beitragen:
1. Umbenennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in ‘Georg-Elser-Denkzeichen’
In der Verlängerung der Voßstraße und unter dem nicht mehr vorhandenen Wilhelmplatz liegt der von Alfred Frederik Elias Grenander 1908 fertig gestellte und 1950 von der DDR wieder aufgebaute U-Bahnhof, der seit 1990 den Namen ‘Mohrenstraße’ trägt.
Mit der Umbenennung aber des U-Bahnhofs würde der Name Georg Elsers nicht nur am Ort der Gedenkstätte genannt werden, sondern die Erinnerung an den Mann sich auf viel effektivere Weise medial in die Stadtpläne Berlins einschreiben und ihm den dauerhaften Platz im kollektiven Gedächtnis verschaffen, den er verdient.
Der Name ‘Mohrenstraße’ für den U-Bahnhof, sowie die Straße selber erzeugt seit fast 10 Jahren Proteste. Im Februar 2005 verabschiedete der Kulturausschuss der BBV-Mitte einen Antrag der auf Umbenennung der Mohrenstraße zielte. Zuletzt im Februar 2009 malten „autonome Häschen“ Ö-Punkte auf die Straßenschilder der Mohrenstraße.
Es steht zu vermuten, dass die auffällig häufige Verunstaltung des U-Bahnhofs durch Graffiti auch mit der politisch abgelehnten Benennung zu tun hat.
Die Chancen einer Umbenennung des U-Bahnhofs können wegen der Anonymität des Wettbewerbsverfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum realistischer eingeschätzt werden, als zum Zeitpunkt der ersten Phase. Leider waren mir dadurch die Hände gebunden. In einem längeren Gespräch mit Herrn Wandtke von SPM Stein Projektmanagement wurde klar, dass diese Themen nicht auf einer Sachbearbeiterebene entschieden werden können, sondern Teil eines öffentlichen politischen Prozesses sein müssen. Auch Herr Wandtke konnte in dieser Sache also wenig bewegen.
Das heißt, Sie, die Jury müssen sich entscheiden, ob Sie diesen politischen Meinungsbildungsprozess wollen. Nachdem nahezu alle relevanten Institutionen des Landes und Bezirks in der Jury vertreten sind, bin ich guter Hoffnung, dass die Umsetzung des Projektes dadurch leichter zu ermöglichen ist. Wenn Sie positiv entscheiden, werden sehen, dass ich mich dann mit vollem Gewicht in das Projekt begeben werde und Partner, Unterstützer und ggfs. Sponsoren suchen werde, die den Prozess unterstützen und begleiten.
Dieser öffentliche Anteil an der Genese des Denkzeichens wird ein integraler Bestandteil dessen und wird helfen Georg Elser im kollektiven Gedächtnis viel tiefer als bisher zu verankern.
2. Der U-Bahnhof als Gedenkstätte
Unweit des ehemaligen Führerbunkers unter der Reichskanzlei befindet sich auf der anderen Seite der Wilhelmstraße der U-Bahnhof Mohrenstraße. Nach der Lektüre von Angela Schönbergers, „Die Neue Reichskanzlei von Albert Speer“ erscheint es plausibel, dass der zum U-Bahnbau verwendete Saalburger Marmor der Sorte ‘Altrot’ aus der Reichskanzlei stammt.
Dem widerspricht der Kunsthistoriker Hans-Ernst Mittig in seinem Aufsatz “Marmor der Reichskanzlei”, weil er in dieser Zuschreibung Reste einer nationalsozialistischen Propaganda von “Ewigkeit“ sieht, die einen Reliquienkult ins Werk setzt, der die Symbolkraft der Substanz aktuell hält.
Wer hier historisch recht behält, ist für den vorliegenden Entwurf nicht so relevant. Ob die Provenienz des Saalburger Marmors nur zugeschrieben ist, oder nachgewiesen werden kann, ist eine Frage, die im Umgang mit Kunstwerken ähnlich entscheidend ist. Die Wirkungsmacht der Substanz liegt vor allem in der Zuschreibung, das heißt im Glauben der Menschen genau daran.
Der Verfasser entschied sich in der ersten Runde den Aufsatz von Mittig so prominent zu platzieren, weil ihm in die Haltung, gängige Zuschreibungen zu hinterfragen in einem sinnfälligen Zusammenhang zu Elsers geistiger Freiheit stand und Elsers Fähigkeit, sich nicht durch Nazi-Propaganda blenden zu lassen.
In diesem Zusammenhang ist der Vorgang, dem Marmor des U-Bahnhofs „an die Substanz zu gehen“, zu allererst als eine symbolische Geste zu verstehen. Es geht nicht um die Zerstörung der Substanz, sondern darum Bilder aus dem Marmor herauszuholen. Das Kunstwerk arbeitet also mit der Zuschreibung der Substanz der Steintafeln, als „Hitlers Marmor“ und fügt eine weitere symbolische Einschreibung hinzu: „Elser ging Hitler an die Substanz“. So ist das für jeden Besucher des Denkzeichens sofort lesbar.
3. Gesprächspartner
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz
Als verantwortliche Behörde für die Umbenennung eines U-Bahnhofs trägt sie die Hauptlast der Kosten für eine Umbenennung. Der problematische Name ‚Mohrenstraße’ wird in Zukunft aber ohnehin Kosten erzeugen.
Die Kosten für die Umbenennung eines U-Bahnhofs liegen bei ca. € 1Million und können nicht durch das Realisierungsbudget für den Wettbewerb abgebildet werden. Wie oben schon erwähnt, befindet sich der Bezirk, das Land Berlin und die BVG ohnehin seit Jahren in einem Problemfeld, das bisher ungelöst ist und auch in Zukunft weitere Aktionen und Initiativen erzeugen wird. Diese Diskussion nun zu führen und einen neuen, sinnvollen Vorschlag zu diskutieren, wird helfen, die bisherige Impasse aufzulösen, die ansonsten in Zukunft erhöhte Kosten in Form von Graffitientfernung, etc. erzeugen wird.
- BVG
Einschränkung des Betriebs während der Bauphase. Diese Kosten können nicht aus dem Wettbewerbsbudget bezahlt werden. Hier müssen Gespräche geführt werden, wie diese Kosten abgebildet werden können. Wenn man einen Förderverein gründet, könnte die BVG die Kosten „spenden“. Es lassen sich sicher institutionelle Konstruktionen finden, die helfen, die Lasten zu minimieren.
- Denkmalschutz
Dieser Entwurf stellt einen gravierenden Eingriff in das bisherige Erscheinungsbild des U-Bahnhofs Mohrenstraße dar und muss denkmalrechtlich genehmigt werden.
Kulturell gesehen erscheint es das höhere öffentliche Gut, an Georg Elser zu erinnern, als das Marmormaterial, das aus der ehemaligen Reichskanzlei stammen soll, zu schützen. Es müssen Gespräche geführt werden, die einen Konsens über diesen Vorschlag herbeiführen.
- Unterstützerverein
Sollte der öffentliche Meinungsbildungsprozess länger dauern, wird ein Förderverein gegründet, der die Umbenennung des U-Bahnhofs zum Ziel hat. Dieser Verein kann auch die Funktion haben, die Finanzierung des Projektes zu organisieren.
- Ablauf
In diesem Fall kann man zweistufig vorgehen. Sollte eine Umbenennung längere Zeit in Anspruch nehmen, kann der U-Bahnhof dennoch schon zum Denkzeichen umgestaltet werden. Im Interim sollen dazu über Schildern, die die Station an den beiden Eingängen benennen, Leuchtschilder angebracht werden, die auf das Georg-Elser-Denkzeichen hinweisen. Das kann später rückgebaut werden, wenn die Umbenennung erfolgt ist.
4. Der Mann und die Tat
Der Marmor soll umgedeutet werden und zum Bildträger werden für das Gedenken an den Mann Georg Elser und seine Tat. In der Mitte der Plattform befindet sich auf der Marmorwand jenseits der Gleise auf der nördlichen Seite ein großes Portrait Georg Elsers. Ihm gegenüber, auf der südlichen Wand befindet sich ein großes Bild seiner Tat – repräsentiert durch eine Fotografie der Zerstörung im Bürgerbräukeller nach der Explosion.
5. Einschreibung und Umdeutung
Die Bilder werden ‘subtraktiv’ erzeugt. Es wird also nichts hinzugefügt werden, um sie erscheinen zu lassen, sondern etwas weggenommen. Mittels Sandstrahltechnik werden die Bilder aus dem Marmor herausgefräst. Dieses Abtragen der Substanz läßt die Bedeutung des Menschen Georg Elser erst erscheinen. Auf einer metaphorischen Ebene wiederholt die Produktion der Bilder die nächtelange Arbeit Georg Elsers, in der er eine der Säulen im Bürgerbräukeller soweit ausgehöhlt hatte, dass er den Sprengstoff darin verstecken konnte.
6. Bildprogramm
Durch das partielle Abtragen wird das für authentisch gehaltene Material des Marmors umgedeutet. Die Bilder geben dem individuellen Widerstand Elsers (s)ein Gesicht. Dabei sollen die gegenüberliegenden Seiten zwei unterschiedlichen Sphären gewidmet sein:
Auf der nördlichen 110 Meter langen Marmorwand werden ausgewählte Fotografien aus dem privaten Umfeld von Georg Elser ein Bild des Menschen abgeben.
Auf der südlichen Wand befinden sich Abbildungen, die die Tat in ihrem politischen und gesellschaftlichen Kontext zeigen.
So wird exemplarisch gezeigt, dass Zivilcourage aus der Bedeutung des Einzelnen und seiner Entscheidungen besteht.
7. Einbinden des Betrachters
Bilder können Sprengstoff sein. Eine Sprengung ist eine expansive Bewegung von einem spezifischen Ort aus. Der Ort Georg Elsers ist der vor der Säule, wo er nächtelang kniete. Dieser Ort wird metaphorisch nachvollzogen als ein Fluchtpunkt auf der Mitte der Plattform zwischen Portrait und Tat. Von dort aus und auf diesen Ort hin werden alle weiteren Bilder, die in die Wände des Bahnhofs eingeschrieben werden, in einer anamorphotischen Projektion ausgerichtet. Dieser konstruierte Ort kann vom Betrachter eingenommen werden und so kann er in einer Art ästhetischem Nachvollzug eine persönliche Beziehung zu Georg Elser aufnehmen. Er stellt sich an den Ort, auf den alle Bilder zu Georg Elser fokussiert sind – ein Ort, der ihm die Frage zumutet: Wie würde ich handeln?
8. Abstraktion und Verständnis
Die anamorphotische Projektion hat zur Folge, dass Bilder, die in größerer Entfernung zum fokalen Standpunkt liegen, eine starke “Dehnung” und Abstrahierung erfahren, so dass sie von Standpunkten die in der Nähe der Ausgänge liegen, kaum noch erkannt werden können. (Sie sind ja auf den Fokuspunkt hin ausgerichtet.) Diese visuelle Abstraktion referiert auf die Notwendigkeit der Aneignung von historischem Wissen und Erinnerung durch den Einzelnen. In der Bewegung vollzieht als der Betrachter nach, was als historische Erinnerungsarbeit immer geleistet werden muss.
http://www.thomaseller.com/GEORG_ELSER.html
THE fast building (Entwurf)
Die Vision
Sie befinden sich im Zentrum des Berliner Westens. Am KaDeWe vorbei gehen Sie die Tauentzienstraße hinab in Richtung Gedächtniskirche. Während sich die Menschen an den Geschäften vorbeischieben und der Verkehr an Ihnen vorüberströmt, haben Sie plötzlich das Gefühl, dass die vertraute Szenerie ins Wanken gerät: Über dem Fluss des Verkehrs und dem Gedränge der Menschen scheint sich eine mächtigere Bewegung zu ereignen, die das gesamte Straßenbild erfasst und emporzuziehen scheint.
Ihr Blick folgt dem Sog der Bewegung und richtet sich auf das Hochhaus des Europa-Centers, das die Ku’damm-Gegend überragt. Sie trauen Ihren Augen nicht: Der gewaltige Architekturquader steht nicht still. Die Fassade des Hochhauses verschwimmt unter der Geschwindigkeit einer Aufwärtsbewegung, die sich von Stockwerk zu Stockwerk beschleunigt. Unhaltbar für den Blick, fließen Glas und Stein ineinander, während das Gebäude himmelwärts rast. In der Höhe erst ebbt die Bewegung ab und kommt mit dem letzten Stockwerk zum Einhalt.
Ein Schwindelgefühl ergreift Sie. Sind Sie einer Sinnestäuschung erlegen? Sie versuchen die Erscheinung dieses beschleunigten Gebäudes zu begreifen, aber je länger Sie hinschauen, um so mehr schwinden Ihre Gewissheiten über die Ordnung des Raumes, durch den Sie sich eben noch so vertrauensvoll bewegt haben. Wenn Sie sich schließlich von diesem irritierenden Anblick lösen, werden Sie die Stadt mit anderen Augen betrachten: in der Erwartung, dass sich die Bewegung, die das Leben der Stadt bestimmt, auf ihre Architektur überträgt.
Die Hintergründe
Gebäude gehören zum Mobiliar einer Stadt. So wie wir uns an den Anblick der Möbel in unserem Haus gewöhnen, so wenig nehmen wir die Architektur wahr, die uns täglich umgibt. Sie scheint unveränderlich um uns zu stehen, während wir uns an ihr vorbeibewegen. Dabei ist Architektur Bewegung als Form: Von gotischen Kathedralen und von modernen Wolkenkratzern wird oft gesagt, dass sie zum Himmel streben. Und Architektur ist Bewegung als Geschichte: Jedes Gebäude steht für die Zeit, in der es erbaut wurde, es verweist auf die Zeiten, deren Bauten es ersetzt hat. Vielleicht wurde es durch Kriege beschädigt oder konnte überhaupt erst aus den Freiräumen entstehen, die durch Kriegsverheerungen geschaffen wurden.
THE fast building macht auf diese Zusammenhänge aufmerksam, indem es die Architektur visuell in Bewegung setzt. Wir haben für Bewegungen eine instinktive Aufmerksamkeit: Wenn sich ein Gegenstand oder ein Lebewesen schnell bewegt, schauen wir sofort hin. Diese Reaktion wird auch durch THE fast building hervorgerufen.
Der Eindruck, dass die Fassade des Europa-Centers sich schnell bewegt, zieht den Blick des Vorbeigehenden auf das Gebäude und setzt sie der Irritation aus, dass die statische Architektur bildlich beschleunigt wird. Damit verweist die Inszenierung auf formale Aufwärtsbewegung, nach der die Architektur entworfen wurde, und sie verweist auf die bewegte Zeitgeschichte, die das Europa-Center präsentiert.
Das Gebäude
Das Europa-Center, 1963-65 gebaut, ist eines der markantesten Gebäude Westberlins und eines der Architektursymbole der Nachkriegsmoderne. Es steht für den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und für das ästhetische Verständnis der der 1960er Jahre. Aber es steht auch für seine Vorgeschichte: Es füllt eine Freifläche, die durch die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs entstand. Früher befand sich am Ort des Europa-Centers das Romanische Café, das während der Weimarer Republik Mittelpunkt des intellektuellen Lebens der Hauptstadt war. Hier trafen sich Literaten und Künstler wie Tucholsky, Brecht, Joseph Roth, Billy Wilder, Otto Dix, Gottfried Benn oder Fritz Lang, bis das Café zum Anschlagsziel für SA-Truppen wurde.
Diese historischen Tatsachen werden durch
THE fast building aktualisiert. Die beschleunigte Fassade ist eine optische Irritation, die bildkünstlerisch auf die Dynamik der Architektur aufmerksam macht, die von der Architektur selbst nicht geleistet werden kann.
Die künstlerische Neuerung von THE fast building liegt in der Verschmelzung des fotografischen Bildes mit dem architektonischen Raum. Der Künstler spricht hier von Archivision.
Die Umsetzung
Die Fassade des Europa-Centers wird 1:1 im Computer nachgebaut und visuell beschleunigt. Diese beschleunigte Fassade wird [mit semi-transparenten Planen] auf die originale Fassade aufgebracht. Die Bausubstanz des Gebäudes wird dabei unverändert gelassen, sein Charakter jedoch wird grundlegend verändert. Aus der statischen Form wird visuelle Bewegung, Tektonik wird sichtbares Ereignis.
Die technische Umsetzung muss noch geprüft werden. Verschiedene Lösungen bieten sich an. In einer ersten Projektstufe muss die Umsetzung anhand von 1:1 Detailstudien geprüft werden. Daraus entsteht die Kalkulation für das Gesamtbudget.
http://www.thefastbuilding.com/
Inhaltlich-künstlerisches Konzept
Betritt man den Hof des Schulgebäudes des Bundesnachrichtendienstes in Berlin sieht man schon aus den Augenwinkeln, dass etwas sich bewegt. Oder zumindest ist das der Anschein. Der prominent in der Mittelachse des Hofraumes platzierte Turm, der die Aufzüge des Schulgebäudes birgt, vollzieht bildnerisch deren „vertikale Funktion“ nach.
Auf der dem Hof zugewandten Wand befindet sich ein Bild, das die Fassade der umliegenden Architektur aufnimmt. In einer 1:1-Simulation aus Mosaiksteinen sieht der Betrachter eine visuell „beschleunigte“ Version der Klinkerarchitektur des Architekturbüros Lehmann. Im Computer wurde ein virtuell nachgebaute Fassade so bearbeitet, dass sie „Bewegungsspuren“ aufweist, als ob sich das Haus aus sich heraus bewegte. Das ist nur möglich, wenn man Realität in Information umbaut und aus Information eine neue Ordnung von Realität entsteht. Das vorgestellte Projekt entwirft also eine Matrix (in Mosaik) für eine mögliche Erscheinungsform von Realität. In einer Bildauflösung, die ungefähr dieselbe Menge an Bildpunkten hat wie ein Computerbildschirm (nur auf viel größerer Fläche), entsteht die Realität einer aus Mosaiksteinen gebauten, elektronischen Pixelwelt. Eine der ältesten Bildtechniken, Mosaik, wird verwendet um modernste Informationstechnik in einer Behörde, die dem zweitältesten Gewerbe (wie manche sagen) gewidmet ist, zu präsentieren.
Mögliche Realitäten, Informationen, Erscheinungsformen und dynamische Entwicklungen, die sich auf den unterschiedlichsten Oberflächen abbilden, sind Gegenstand auch der Beschäftigung innerhalb des BND. Der Blick hinter Fassaden, oder die Produktion neuer Fassaden gehört auch dazu.
Darüber hinaus – eine weitere Dimension des Vorschlages will vorsichtig angesprochen werden: Der BND hatte die USA vor mehr als 10 Jahren vorgewarnt, informiert über eine bevorstehende Bedrohung, die seinerzeit in den USA in den Wind geschlagen wurde. Um es anders zu sagen – wenn Fassaden in Bewegung kommen, ist es immer brandgefährlich. Der vorliegende Entwurf erinnert deswegen auch auf subtile Weise an 9/11, wird aber visuell so in der Schwebe gehalten, dass die Katastrophe nicht eintritt. Zwischen Dynamik und Katastrophe findet der Entwurf einen Zustand, der beides beinhaltet und das Ergebnis so offen lässt, dass wir (als Betrachter und Subjekt) immer noch eine Chance haben.
Bild und Architektur
Wie sehr das Feld zwischen Bild und Architektur einer genaueren künstlerischen Bearbeitung bedarf, zeigt gerade das in Berlin oft gesehene Paradoxon, wie zum Beispiel am Leipziger Platz. Das städtebauliche Oktogon wird seit Jahrzehnten nur dadurch zusammengehalten, dass vom Betrachter verlangt wird dort, wo gedrucktes Bild in den Raum gestellt ist, ein Haus zu vermuten. Dieser Sprung aus einer Realitätsebene in die nächste, soll ausgeblendet bleiben und Bild mit Haus identisch werden. Natürlich gelingt das nicht wirklich und der Leipzigerplatz verharrt in einem seltsamen Limbo.
Was man als Künstler daran lernen kann, ist, dass das Berührungsfeld zwischen Bildraum und Architekturraum ästhetisch überarbeitet werden muss. Durch eine „Beschleunigung der Bildinformation“ im vorgelegten Entwurf wird die Künstlichkeit einer 1:1-Simulation augenfällig und die Bildhaftigkeit von Architektur manifest: Bildraum und Architekturraum überlagern sich im Format 1:1 und verschmelzen in einer hybriden neuen Realitätsebene, die man Archipiktur nennen könnte (wenn es nicht so kitschig wäre).
Technische Angaben
Die Fassade des Aufzugturms zum Innenhof des Schulgebäudes des BND hin ist xx Meter hoch und xx Meter breit und wird in einer 1:1-Version im Computer nachgebaut.
Die einzelnen Pixel des elektronischen Bildes werden später in der realisierten Wandarbeit durch Mosaiksteine im Format 1,5 x 1,5 cm repräsentiert. Durch diese Auflösung lassen sich die verwendeten Materialien und Elemente, wie Klinkersteine, Fugen, Metallfelder und Rahmen ausreichend detailreich abbilden. Auf diese Art und Weise entsteht ein Bild in Mosaiktechnik mit einer Gesamtauflösung von 1550 x 325 Bildpunkten, resultierend in 503.750 Mosaiksteinen (ca. 3dpi). Die chromatische Streuung der Mosaiksteine umfasst ein Spektrum von 35 – 40 Farbwerten. Dadurch entsteht eine farbliche Abstraktion weg vom abgebildeten Gegenstand. Das Mosaik wird dauerhaft auf der gesamten Höhe und Breite der Stirnwand des Aufzugsturms angebracht und wiegt ca. 8 – 9 kg/m2, bei einer Gesamtfläche von 137 m2 also insgesamt zwischen 1096 bis 1233 kg.
"... Jeder nach seiner Faßon..." - nicht realisert
Ein Vorschlag für den Brandenburgischen Landtag in Potsdsam
von Thomas Eller und Füsun Türetken
Das Toleranzedikt vom 29. Oktober 1685, das vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg erlassen wurde legte den Grundstein für eine Entwicklung Preußens, die bis heute eine
im Prinzip weltoffene Haltung der Region Berlin-Brandenburg trägt. Die Einschränkung aber dieses Edikts auf nur eine religiöse Gemeinschaft, die Hugenotten, erscheint heute nicht umfassend
genug, um als öffentliche Aussage Raum für Integration zu stiften. Die Trennung von Staat und Kirche und die Toleranz ALLEN Glaubensgemeinschaften gegenüber findet sich viel umfassender
ausgedrückt in den wenigen Zeilen, die König Friedrich II. von Preußen 55 Jahre später handschriftlich an den Rand einer Eingabe schrieb, dass jeder „nach Seiner Faßon selich werden“solle.
Das Kunst-am-Bau-Projekt für den historisierenden Neubau des Brandenburgischen Landtags bezieht sich auf dieses berühmte Zitat. Im Zentrum des Projekts steht das Manuskript und zwar als
Dokument. Als Randnotiz verfasst, wurde es zur zentralen Aussage von weltanschaulicher Offenheit, um die wir auch heute noch kämpfen müssen. Das Handgeschriebene eröffnet darüber hinaus
eine menschliche Dimension. Die Tätigkeit des Schreibens erscheint als eine Handlung, die gleichzeitig als Handlung im politischen Raum zu verstehen ist. Freiheit mag allgemein verbürgt sein, in
der Handlung erst erweist sich, ob sie auch wirklich gelebt werden kann. Auch hier ist die handschriftliche Notiz wegweisend, indem sie als Adressanten den Einzelnen benennt, der nach „Seiner
Fasson Selich werden“ soll. Denn nur im aktuellen Austausch der Menschen untereinander erweist sich diese Freiheit.
Der vorliegende Projektvorschlag bezieht sich auch auf die als kontrovers betrachtete Tatsache einer Rekonstruktion des einstigen Stadtschlosses in Potsdam. Die Wahl der Quelle schöpft auch
aus der Geschichte Preußens, die formale Sprache, die das Kunstwerk im Kontext des Schlosses entwickelt, setzt es in Spannung zur eigenen Quelle und platziert die Frage nach der Religionsfreiheit
für den Einzelnen in einen Datenraum. Damit schließt es sich an die gegenwärtigen Kontroversen um die Freiheit des Einzelnen in einer Informationsgesellschaft an.
Folglich schlägt das Projekt eine zeitgemäße Übersetzung vor, die der Relationalität unserer Zeit entspricht und neue Konflikthorizonte, – die über die Fragen der Religionsfreiheit hinausgehen
– mit einbezieht. Unser Leben in einer digitalen Welt bringt neue Gefahren aber auch Möglichkeiten individueller Freiheit mit sich. Die Problematik der informationellen Selbstbestimmung erhält
dabei einen ähnlich bedeutenden Stellenwert wie die Frage der Religionsfreiheit. Auf allen Ebenen, von Infrastruktur über Forschung bis hin zur Produktion sind sämtliche Lebensbereiche von der
Digitalisierung durchdrungen. Durch die Verlegung der Bildinformation des „Faßon-Texts“ als digitalisiertes Mosaik auf dem Hauptzugangsweg zum Brandenburgischen Landtag erzeugt das
Kunstwerk diesen Assoziationsraum.
Dazu wird ein Scan des Original-Manuskripts in seine informationelle Kodierung zerlegt und erscheint als binärer Code von 01-Informationen. Diesem Code werden die Farben Rot und Weiß
zugeordnet, also die Farben des Landes Brandenburg. In Mosaiktechnik wird diese Information in den Weg zum Parlament eingeschrieben, von links oben beginnend nach rechts unten. Der
Code wird (wie im Rechenprozess des Computers auch) in logische Einheiten unterteilt werde, die quadratisch dargestellt werden. Vorbild ist die bit-Tiefe von Bild-Dateien, die in 8, 16 oder 32
bit-Tiefe dargestellt werden können. Für das Projekt werden wir auch mit dem Vielfachen dessen arbeiten. Vorstellbar ist, je nach Beschaffenheit des Untergrundes (siehe Tragwerk/Liberoplan),
eine Größe von 100 x 100 cm oder größere Formate, die die Bildinformation als Mosaik organisieren. Durch das Quadratraster erhöht sich auch der Eindruck organisierter Information auf dem
Mosaik.
Als Rechenexempel kann sich man 64 x 64 Mosaikpixel vorstellen, die im Quadrat gesetzt insgesamt insgesamt 4096 Informationspunkte ergeben und eine Kantenlänge von ca. 100 x 100 cm
hätten. Das Beispiel unten ist eine händisch ausgelesene Bilddatei, die die Datensequenz korrekt wiedergibt. Die bisherigen Tests haben ergeben, dass das Verhältnis von Nullen und Einsen im
Binärcode bei ca. 55 zu 45 liegt. Um den Eindruck von „rot“ zu erzeugen, wird die höhere Anzahl im Verhältnis von 0 zu 1 der Farbe Rot zugeordnet.
Somit entsteht aus dem binären Code ein rot-weißer „Teppich“, der von allen BürgerInnen, Abgeordneten und Staatsgästen gleichermaßen genutzt werden kann. Er ist sozusagen die Unterlage
auf der alle stehen und gehen, die am politischen Prozess beteiligt sind. Eingewoben in diese ist der freiheitliche Kern Preußens, der Text von Friedrich II., als DNA-Code des Landtages Brandenburg.
Es geht aber auch um die Qualität der ästhetischen Erfahrung, die der Betrachter beim Überschreiten der Mosaikfläche machen wird, denn ein „Teppich“ im Außenraum ist außergewöhnlich und
jeder, der ihn begeht, fühlt das unmittelbar. Man betritt etwas von Bedeutung und wird sich dessen bewusst. Diese Bewusstwerdung verändert den Gehenden und den Raum um ihn herum und ist
das Ziel dieses Kunstwerkes. Die Strenge des Informationsteppichs setzt sich dabei in eine produktive Spannung zur Architektur des Büro Kulka. Die Referenz auf den Text von Friedrich II. und
seine Übersetzung in zeitgenössische Form und Thematik, aktualisiert die Frage nach unserem Umgang mit Freiheit heute und bildet den formalen Gegenpol zur „wiederverwendeten Historie“ des
Neubaus des Brandenburger Landtages. Damit ist eine Spannung angelegt, die komplementär erscheint und produktiv wirkt. Sie wirft Fragen auf, die wir so einfach nicht beantworten können
werden.
Portal der Entropieproduktion
Zentrale Forschungsschwerpunkte im CEBra sind Energie-Ressourcen, -Wandlung und –Versorgung. Das heißt, dass es im Kern (und grob vereinfacht) an diesem Forschungsinstitut um einen permanenten Kampf mit den Thermodynamischen Gesetzen um möglichst günstige Wirkungsgrade in geschlossenen und offenen Systemen geht. Denn Nachhaltigkeit im Umgang mit Energieproduktion, -distribution, -speicherung und -nutzung ist nur zu erreichen, wenn die produzierte Entropie so gering wie möglich gehalten wird. Jedoch ist Entropiezunahme nicht zu vermeiden. Wir werden immer Energie verlieren, wenn wir thermische Energie in Arbeit umwandeln wollen, oder umgekehrt. Der Saldo ist also immer negativ.
Physischer Ausweis für diesen Kampf, der an der BTU Cottbus stattfindet ist der Speicherpuffer in der Lobby des Neubaus de Zentrums für Energietechnologie. Er verkörpert sozusagen die Anstrengungen zur bestmöglichen Entropievermeidung und stellt am Ende doch nur einen, wenn auch cleveren Trick dar. Anstatt nämlich die Energie zur Beheizung/Kühlung des Gebäudes komplett aus fossilen Brennstoffen oder Elektrizität anderer Herkunft zu holen, wird ein Teil der Energie aus der Umgebungstemperatur geholt – Entropie also in ein anderes System exportiert. Man spart also Energie in einem System, indem man die Anergie in ein anderes exportiert.
Kunst – könnte man sagen – erscheint in diesem Kontext als die ultimative Entropieproduktion. Ihre Produktion ist irreversibel, das Kunstwerk selber verrichtet keine „Arbeit“ und alle, in sie hineingesteckte Energie dient in den meisten Fällen höchstens auf übergeordneter, symbolischer Ebene der Diskussion über nachhaltige Entwicklung. Eine Brücke allerdings wird der Kunst vom Nobelpreisträger 1977, Ilya Prigogine, gebaut.
Heute wissen wir, so Prigogine, dass fern vom thermodynamischen Gleichgewicht neue Strukturtypen spontan entstehen können – Unordnung und Chaos können sich unter diesen Bedingungen in Ordnung verwandeln und bringen dissipative Strukturen hervor. Diese beschreiben das Spezifische und Einmalige, das in Gleichgewichtsnähe nicht auftreten könnte, hier ist Selbstorganisation verortet, die zu inhomogenen Strukturen führt. Anthropomorph gesprochen: „Im Gleichgewicht ist die Materie blind, in gleichgewichtsfernen Zuständen beginnt sie wahrzunehmen.“ (Ilya Prigogine) Dissipative Strukturen ziehen also eine Entwicklung zu höherer Ordnung nach sich, womit die Evolutionstheorie eine thermodynamische Grundlage erhält und es fast schon so klingt, wie eine Definition des Begriffs von Kunst.
Die Frage nach der Entstehung des Lebens ist auf Basis dieser Perspektive nicht mehr so fern von den Grundgesetzen der Physik zu sehen. Prigogine meint weiter, dass gemeinsam mit dieser Frage auch mittlerweile traditionell geisteswissenschaftliche Fragestellungen von einem in Zukunft übergeordneten Wissenschaftssystem aus beantwortet werden können, das er ganz allgemein „Dialog mit der Natur“ nennt. Dieser Dialog steht nach Prigogine erst am Anfang und beendet den Dualismus zwischen Physik und Kultur.
Prigogines hauptsächliches Interesse galt dem Zeitbegriff. Im gemeinsam mit Isabelle Stengers verfassten Buch „Das Paradox der Zeit“ führt er den Zeitpfeil ein, also den Begriff der Irreversibilität. Diese spielt eine konstruktive Rolle: Die Entstehung des Lebens wäre ohne sie undenkbar. Gegen Kritiker, die Geschichtlichkeit als bloße Erscheinung bezeichnen, erwidert Prigogine: „wir sind die Kinder des Zeitpfeils, der Evolution, und nicht seine Urheber“.
Diese strukturellen Betrachtungen führen direkt zur künstlerischen Intervention im Neubau des Zentrums für Energietechnologie:
Motiv des großformatigen Mosaiks (das die Tradition der Wandgemälde und Reliefs des 19. und 20. Jhdts, wie sie auch auf dem Campus der BTU zu finden sind (Gerhard Bondzin), modernisiert) ist der zentrale Speicherpuffer in der Lobby. Wie in einem Kaleidoskop spiegelt sich die Situation, der Ort der Lobby mehrfach im „Spiegel“ der Mosaiksteine. Die Refraktionen werden erzeugt durch eine polyperspektivische und multitemporale fotografische Umsetzung der Situation im Lobbybereich. Dabei bildet das Mosaik der Zeitquanten einen Torbogen, oder ein Portal und es erscheint, als ob der Speicherpuffer erst durch dieses hindurch in Raum und Zeit gekommen sei.
Thema also ist das der Entropieproduktion. Mehrfach erscheinen Rohrteile und Raumelemente, die dabei sind, sich zu organisieren. Dadurch wird dem Betrachter die Idee einer nicht notwendigerweise linear verlaufenden Zeitlichkeit vermittelt – den permanenten Wandel sozusagen. So dass es dem Kunstwerk überhaupt keinen Abbruch tun würde, wenn in ungewisser Zukunft der Speicherpuffer einmal abgebaut sein wird. Das Kunstwerk wird ihn, wie durch ein Geschichtsportal immer in die zukünftigen Gegenwarte der Betrachter bringen – und wird ein dauerhaftes Mahnbild unseres Kampfes mit Entropieproduktion bleiben.
Wer weiß, was das Portal eines Tages entbergen wird und was an der BTU in Zukunft entwickelt werden wird?! – Das Portal der Entropieproduktion wird das wahrnehmend bezeugen.
Technische Angaben
Die Rückwand der Lobby des Neubaus für das Zentrum für Energietechnologie ist 13,5 Meter hoch und 13 Meter breit. Davor steht der Speicherpuffer, der mitsamt seiner Anschlüsse, 9 Meter auf 5 Meter der Wand einnimmt.
Das Mosaik bildet einen Rahmen um die technische Installation herum und ist auf Wedi-Bauplatten verlegt, die mit der Wand verankert wurden. So entsteht der Eindruck eines Tores oder Portals, das 12,5 Meter hoch und 12,5 Meter breit ist.
Die einzelnen Pixel des elektronischen Bildes werden später in der realisierten Wandarbeit durch Mosaiksteine im Format 1 x 1 cm repräsentiert.
Dadurch entsteht eine Auflösung von ca. 3 dpi und eine Pixelmenge von 1250 x 1200 Stück. Rechnet man die umschlossene Fläche ab, ergibt sich eine Gesamtmenge von ca. 930.000 Bildpunkten, die als Mosaik in einer chromatischen Streuung von ca. 25 Farbwerten ausgeführt wird.
Dadurch entsteht eine farbliche Abstraktion weg vom abgebildeten Gegenstand.
Das Mosaik wird dauerhaft auf der gesamten Höhe und Breite der Stirnwand der Lobby angebracht.
Es wurden Mosaiksteine der Firm Bisazza verwendet und mit einer Spezialfirma aus Norditalien realisiert. Das Mosaik wiegt ca. 8 – 9 kg/m2, bei einer Gesamtfläche von 95 m2 also insgesamt ca. 800 kg. Verarbeitet wurden die Mosaike mit Produkten der Fa. ARDEX (Grundierung und Kleber).
Statisch erfordert das Mosaik einen festen Putz von 1,6 Deutschen Normativen Newton.
Die Glasmosaiksteine sind dauerhaft, pflegeleicht und lichtecht und erfordern keinen zusätzlichen Betriebsaufwand über die gelegentliche Staubreinigung hinaus
THE house
This project is a collaboration between the artist Thomas Eller and the architect Thomas Hillig and a cross of two approaches. It is art as architecture fusing pictorial and architectural notions of space and time.
On the façade, in the lobby and staircases, as well as in the building’s backyard, one finds image information inscribed in the actual spatial reality of the building. This relatively small residential building in Berlin’s landmarked district Mitte has seven floors and 12 units. Despite the location’s limiting city regulations, no large glass surfaces, no balconies, limited color range, etc., the artist/architect team was able to convince the building authorities of this innovative design approach.
The project perhaps could have never been done without the digitization of the two disciplines. On the click of a mouse one can create Images in almost unlimited sizes. On the click of a mouse maps in a scale of 1:1 can be drafted, making the baroque dream of a life-size map possible, as described by Jorge Luis Borges in “On
Exactitude in Science”.
Virtual space allows us to work on and keep a record of the largest of objects in the smallest of places, as well as the smallest may be presented as large. This can be communicated in real-time across continents, short-cutting space and time with programs like skype, thus creating radically new notions of reality. Also large-scale images are more and more encroaching on the urban landscape, not only in the form of advertisement, but also as temporary installations. Who hasn’t seen an image of a building on a poster while the building behind it is been restored. In other words, digitization forces us to renegotiate not only notions of space and time, but also of pictorial and architectural notions of space.
The artist/architect team worked together closely during the design process of the building, making THE house not an art-and-architecture, but an art-AS-architecture project. The image information is embossed into the surface of the building, creating multiple layers that present various earlier stages of the building’s design
process as a pixel matrix. Conflating time (of the design process) and space (of the façade’s surface), the image is worked into the building’s exterior insulation as a relief structure. Three different layers are “embossed” into the insulation with the pixel matrix hand-painted onto it. The matrix is continued as a print on the balconies’ glass sheets’ exterior to give them a matte surface, so as to comply with city regulations on the one hand, but also to give the building a more unified surface.
The result of the artist/architecture collaboration is, despite its cyber-real approach, maybe not surprisingly close to baroque notions of architecture, where “real” and “fake” architectural elements work hand in hand to create very complex spatial realities. Gilles Deleuze, in his book “The Fold”, writes about these as a negotiation
of a baroque building’s interior and exterior spaces, the transition from public to private and more private spaces as a folded-in reality of inter-woven spaces. (This is also the reason why the building authorities could be convinced. The neighboring buildings mostly lack the neo-baroque ornamentation of the windows that otherwise dominates the urban landscape of Berlin. Finding a contemporary solution beyond the window-as-hole approach was welcomed enthusiastically.)
The surfaces of THE house may have descended from a radical different origin, but show the same de-limiting effect as many baroque architectural designs do. The pervasiveness, not of a metaphysical space, as was intended during baroque times, but of an almost absolute pervasiveness of the digital realm that we are experiencing in all aspects of life today (work, privacy, etc…) manifests itself in Eller’s and Hillig’s novel approach to art as architecture.
1990 - heute: als Künstler Ausstellungen in Museen und Galerien in Europa, Asien und Amerika
2014 - 2020: Peking, Jingdezhen
2008 - 2009: Künstlerischer Leiter der Temporären Kunsthalle Berlin
2006: Kollwitz - Preis der Akademie der Künste Berlin
2004 - 2008: Berlin, Gründung und Chefredaktion des artnet Magazins
2000: Florenz, Villa Romana
1995 - 2003: New York, Greencard
1987 - 1995: Wissenschaftliche Hilfskraft am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
1994: Karl Schmidt-Rottluff-Preis
1986 - 1989: Studium der Religionswissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte, FU Berlin
1985: Studium Bildende Kunst, HdK Berlin, Zwangsexmatrikulation nach drei Semestern
Auslandsaufenthalte:
2014 – 2020: Peking
2001 – 2003: New York
2000: Florenz
1995 – 1999: New York
Auszeichnungen (Auswahl):
Denkzeichen Georg Elser 2010, Berlin, 2. Preis
Kopf des Monats Oktober 2006, Projekt Zukunft Berlin
Käthe-Kollwitz-Preis, Akademie der Künste Berlin, 2006
Art Omi International Arts Center, NY, 2002
Villa Romana Preisträger, Florenz, 2000
Karl Schmidt-Rottluff Preis, 1996
Kunst am Bau:
2015: „ THE house", Architekturprojekt mit Thomas Hillig, Anklamer Str. Berlin
2011: „Der Mensch ist was er isst”, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen
2008: „ THE Mosaik (Heilpflanzen)”, Johannes Wesling-Klinikum, Minden
2004: „ THE multi/vision”, RadioShack, Fort Worth, TX
2002: „ THE mirror and stairs, simultaneous walking”, Allianz München
2001: „ THE energy flow”, Slg. Klein, Nußdorf, Stuttgart
1998: „ THE agora – SELBST”, HUK-Coburg, Coburg
1997: „ THE Passage – SELBST”, Hypo-Bank, Ludwigshafen
Sammlungen (Auswahl):
Kunsthalle Bremen
Wilhelm-Hack Museum, Ludwigshafen
Neues Museum, Nürnberg
Berlinische Galerie
Aby Rosen, 22nd Century Acquisition, NY
Francis Greenburger Collection, NY
Michael Straus, Andy Warhol Foundation
Sammlung Defet, Nürnberg
Carol Schuster Collection, NY
Peter Raue, Berlin